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Didi Neidhart über NoFive 

I.

Wie passen der oberösterreichische Komponist Bruckner und das US-amerikanische Rock-Duo The White Stripes zusammen? Dieser Frage will das Projekt NoFive nachgehen. Besteht doch eine frappierende Ähnlichkeit zwischen einem immer wiederkehrenden Thema aus Bruckners 5. Symphonie und dem weltberühmten „Seven Nation Army“-Riff der White Stripes.

Initiiert von Andre Zogholy entstand ein Team, welches sich aus sechs Gitarristinnen, drei Gitarristen, einem Bassisten, einem Schlagzeuger und einem Dirigenten zusammensetzt. Gemeinsam setzen sie sich mit dem diesem Riff und Versatzstücken aus Bruckners 5.Symphonie im Spannungsfeld zwischen Hoch- und Pop-Kultur, deren jeweiligen Avantgarden und gegenseitigen Transgressionen auseinander.

II.

Jetzt ist der White Stripes-Song aber nicht irgendein Song. Bevor „Seven Nation Army“ 2009 vom Jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung zum Song des Jahrzehnts gewählt wurde, hatte das markante Riff bereits eine längere wie auch unvorhersehbare Reise hinter sich. Zum ersten Mal erklang der Song als Opener des vierten Studio-Albums der White Stripes namens „Elephant“ im Jahr 2003.

Das Riff ist im Grunde sehr einfach und besteht aus gerade mal sieben Tönen. Die werden auf einer E-Gitarre gespielt, die auf einen offenen A-Dur-Akkord gestimmt ist und zusätzlich durch ein Whammy-Pedal eine Oktave nach unten transponiert wird. Dieser Twist verleiht schon einer einzigen Gitarre einen voluminöseren Sound. So wurde der Song zu einem der wohl auch letzten, zumindest mit einem Bein noch tief im Rock’n’Roll-Schlamm steckenden, Konsenshit, den alle quer durch alle Genres mochten.

Jedoch brauchte es zum Song des Jahrzehnts dann doch noch etwas mehr. Zum Beispiel einen Refrain, der ganz ohne Worte gesungen werden konnte und selbst aus den Kehlen tausender Fußballfans super klang. Und so kam es dann auch. So soll das Riff erstmals während der Champions League 2003 von Fans des FC Brügge als Kampfsong gegen Rapid Wien und später auch gegen den AS Rom benutzt worden sein.

Italienische Fans waren es, die bei der WM 2006 mit der Melodie ihre Mannschaft anfeuerten und schließlich zum Weltmeister machten. Gleichzeitig avancierte „Seven Nation Army“ quasi zum Soundtrack dieser WM und wurde eine Art globales Volkslied, von dem es fast kein Entkommen mehr gab.

Hinzu kamen zig Coverversionen zwischen Funk (Nostalgia 77), Dub-Reggae (Dynamics) und Klassik (Vitamin String Quartett). Auch bei Protesten von Studierenden durfte „Seven Nation Army“ nicht fehlen, und dass der Song mittlerweile zum Standardrepertoire jeder Oktoberfestkappelle gehört, sollte in diesem Zusammenhang nicht wirklich verwundern.

Nun könnte jedoch spitzfindig danach gefragt werden, was da eigentlich gesungen und gegröhlt wird: ein Riff aus einem Rock-Song oder eine Melodie aus Bruckners 5. Symphonie?

III.

Jetzt gehört das Herausnehmen und Herausschneiden sowie das Aufblasen von Details wie zum Beispiel einer Melodie aus einem größeren Werk zu den genuinen Charaktereigenschaften fast jeglicher Kunst zwischen Avantgarden und Pop: Das reicht von Surrealismus und Dadaismus bis hin zu Pop-Art und Hyperpop, von jeglichen Musiken, die auf Mantra-Ähnliches (Drone-Metal) sowie Trance-Zustände (egal ob Delta-Blues oder Techno) setzen ganz zu schweigen.

Und es war und ist prägend für viele Spielarten von Minimal Music, wobei es nie nur um die Performance an sich ging. Analog zu Andy Warhols Konzept einer Ideenkunst war auch für den Drone- und Minimal-Pionier La Monte Young die Idee von entscheidender Bedeutung: Hier ist ein Akkord – folge ihm! Minimal bedeutet hier jedoch auch eine gewisse Simplizität: in der Konzeption, im Set-Up, in der Idee und Intuition an sich.

Denn im Grunde ist auch das Projekt NoFive sehr einfach und minimal: Ein E-Gitarren Ensemble aus 10 Musiker*innen plus Schlagzeug und einem Dirigenten, ausgestattet mit 10 identischen 100 Watt Marshall Vollröhren-Amps folgt den Fluchtlinien, die sich zwischen, mit und quer zu Bruckner meets The White Stripes ergeben.

Generiert wird dabei ein sonisches Hybrid, welches sich unter anderem den experimentellen Herangehensweisen und Kompositionsmethoden von Glenn Branca verschrieben hat. Wobei Branca, der bekanntlich auch stark von La Monte Young beeinflusst war, vielleicht gar nicht die prominente Rolle in dem Projekt hätte, gäbe es da nicht einen von Alan Licht verfassten Nachruf auf Branca, in dem als Einflüsse neben Mahler und Messiaen dezidiert auch Bruckner erwähnt wird.

NoFive geht es darum, sowohl Bruckner wie auch The White Stripes hinter sich zu lassen. Also kein Aufguss unsäglicher „Rock meets Classic“-Versuche, sondern ein fröhliches Erforschen jener Fluchtlinien, die sich meist erst dadurch auftun, wenn tradierte Perspektiven aufgegeben werden. Dies gilt auch für die Referenzen an Glenn Branca, The Velvet Underground und Sonic Youth. Wiewohl hier auch die intensive Beschäftigung mit Open Tunings, dem sich NoFive verschrieben hat, als kleinster gemeinsamer Nenner angeführt werden kann.

Und klar geht es bei all dem auch um Lautstärke und Intensitäten! Gerade bei einem solchen Riff, von dem Tom Maginnis bei AllMusic’s schreibt, dass es exemplarisch „the power of tension and release“ darstellt, braucht es einen Sound, der einem nicht nur die Ohren durchbläst, sondern der sprichwörtlich auch durch den Körper geht.

Als sich die europäische Klassik dazu entschlossen hatte, sich nur noch in Form von Sitzkonzerten der Öffentlichkeit zu nähern, ging das körperliche Genießen von Musik verloren. Stattdessen versuchte dann jemand wie Wagner mittels der Gigantomanie des Gesamtkunstwerkgedankens diesen Verlust zu sublimieren.

Wenn es bei NoFive auch darum gehen soll, mal wieder nachzuschauen, wie es aktuell um das Vorhaben steht, die Schubladisierungen von Subkultur, Populärkultur, Hochkultur, Alltagskultur und Avantgarde aufzuheben, dann ist das körperliche Erleben solcher Grenzverschiebungen und Durchlässigkeiten sowie der damit verbundenen Transformationen schon immer ein spezifisches Charakteristikum von Pop gewesen: Während der Kopf noch keine genau Ahnung davon hat, was sich gerade ereignet, setzt sich der Körper schon neu zusammen und funkt neue Signale an das Hirn. Von daher mögen zehn E-Gitarren und zehn Verstärker ja auch dazu geeignet sein, Bruckner „heavy“ aber dennoch nicht wagnerianisch erklingen zu lassen.

Und auch wenn dies ein produktives Missverständnis wäre, würde es sich dennoch gut ins Gesamtkonzept fügen. Denn der Songtitel „Seven Nation Army“ geht ebenfalls auf ein Missverständnis zurück – drang doch der Name der Heilsarmee (Salvation Army) in der Kindheit des White Stripes-Sänger Jack White als „Seven Nation Army“ an sein Ohr.

Der Multiperspektivität von NoFive verpflichtet sollen auch die Orte der Live-Konzert zugleich eine Heterogenität gesellschaftlicher Gruppen erreichen und so in unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontexten wirksam werden. Das reicht von Festivals, über Konzertsäle bis hin zu sakralen Räumen – und natürlich einem Fußballstadion.

Text: Didi Neidhart

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